Shugyo – Selbstdiziplin

Shugyo, Selbstdisziplin, ist das oberste Gebot, um im Dojo unter dem Druck des Trainings ausgebildet zu werden. Dieses Gebot wird später dann auf das Alltagsleben mit seinen vielfältigen Situationen übertragen. Nichts, wie banal es auch immer sein mag, sollte ohne den festen Willen unternommen werden, sich ungeachtet aller Provokationen entspannt, tolerant und humorvoll zu verhalten. Gleich, ob der Gegner ein wütender Kämpfer, ein sturer Beamter oder eine chronische Krankheit ist, stets müssen wir diejenigen Tugenden aufrufen, die uns bei der Überwindung solcher Widrigkeiten helfen. Dies können wir nur, wenn wir ruhig bleiben und unsere Gefühle voll beherrschen. Selbstdisziplin ist eine Gabe, die uns den Genuß der Kontrolle über unser Leben gewährt, eine Kontrolle, die unter Stressbedingungen jederzeit verfügbar ist. Selbstdisziplin ist kein finsterer Gott, der unser schlechtes Gewissen abdrosselt. Er gleicht vielmehr einem Engel, der kommt, wenn wir ihn brauchen, wenn wir merken, daß uns die Herrschaft über uns zu entgleiten droht.

Um eine Quelle der Kraft und Stärke darzustellen, muß Selbstdisziplin regelmäßig geübt werden. Das tägliche Üben im Dojo bietet uns eine willkommene Gelegenheit, Stress mit Selbstdisziplin zu begegnen, und unser tägliches Leben stellt eine Fortsetzung dieser Übung dar.

Jedesmal wenn wir erkennen, sei es im Dojo oder anderswo, daß ein Mangel an Selbstdisziplin einen Rückfall in Unreife mit all seinen unerfreulichen Konsequenzen verursacht hat, müssen wir aus dieser Niederlage lernen. Wir müssen unseren Entschluß festigen, die nächste Gelegenheit besser zu nutzen und es besser zu machen.

Einige Leute verstehen unter Selbstdisziplin, daß sie einen grimmigen Meister darzustellen haben, der jegliche spontane Freudenregung im Keim erstickt. Solch eine Interpretation ist vollständig falsch. Selbstdisziplin erlaubt uns nämlich, vor uns selbst Respekt zu haben und zu wissen, mit Widrigkeiten umgehen zu können. Wir haben aber deswegen auch keine Angst davor, einmal zu entspannen und gleich glücklichen Kindern zu leben. Der grimmige Mensch, der niemals glücklich ist, ist nicht selbstdiszipliniert, sondern „andersdiszipliniert“. Durch diese Verkörperung einer überstrengen Vaterfigur, die jeden Funken von Spontanität sofort unterdrückt, fühlt er sich selbst miserabel und lebt dabei noch in ständiger Angst vor Schwäche oder Niederlage.

Da wir uns täglich der so wichtigen Aufgabe widmen, unsere Schwächen zu erkennen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen, stellen sie auch keinen Schrecken für uns dar. Wir akzeptieren sie bemühen uns jedoch, sie auszumerzen. Die Niederlage durch die Hand eines anderen schreckt uns nicht, denn wir sind uns unserer Begrenzungen als sterbliche Wesen bewußt. Wir sind uns aber auch bewußt, daß wir für unsere eigenen Fähigkeiten verantwortlich sind. Das Training im Dojo lehrt uns, daß man manchmal gewinnt und manchmal verliert, und daß man anderen aufgrund der Erfahrung voraus ist. Wir müssen nicht gewinnen, sondern einfach Freude daran empfinden, unsere Sache nur ganz unabhängig vom Ausgang gut zu machen.

Aus „Samurai-Geist – Der Weg eines Kriegers in den japanischen Kampfkünsten“ erschienen im Kristkeitz Verlag.

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