Praktizierende Christen und Karate

Zunächst vorab: Ich bin praktizierender Christ, dazu erzkatholisch und seit über 15 Jahren Karate-Trainer.

Stellen wir doch einmal eine Frage: Was beinhaltet Karate-do?

Hier geht es nach Funakoshi nicht darum einen Kampfsport zu lernen, um anderen zu zeigen wie stark man ist oder andere zu verprügeln sondern – und das bedeutet „Do“ – es geht darum, zu sich selbst zu finden, ein besserer Mensch zu werden. Das heißt u.a. muss der Egoismus abgestreift werden!

Was ist daran so schlecht und unvereinbar mit dem Christentum? Hier geht es doch in der Quintessenz um genau das Gleiche. Man soll seinen Nächsten lieben.

Nächstenliebe äußert sich in verschiedenen Formen. Ich denke, einer der wertvollsten Berufe dieser Welt ist der des Lehrers. Gute Lehrer helfen den Schülern, auf ihrem Weg. Sie geben den Schülern etwas Wertvolles für ihr weiteres Leben mit. Ist ein guter Lehrer nicht fürsorglich? Ist Fürsorge keine Nächstenliebe?

Das „Du sollst Deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ sollte man einmal im Zusammenhang betrachten. Es gibt nämlich noch eine Aussage: „Der Leib ist der Tempel Gottes,“ also etwas, was man – geht es nicht um höhere Werte – nicht zerstören (lassen) darf.

Kommen wir damit auch gleich direkt zum Thema „linke Wange / rechte Wange“ …

Ist das im „Do“ so anders? Heißt es nicht: „Es gibt kein Zuvorkommen im Karate?“ (Karate ni sente nashi) Bedeutet das in der Konsequenz nicht auch, dass man besser einmal zurücksteckt, um Gewalt zu vermeiden? Jeder weiß, dass Gewalt nur immer wieder neue Gewalt hervorruft… Genau deshalb wurde ja das alttestamentliche „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ im Neuen Testament durch das Gebot der Nächstenliebe ersetzt.

ABER: Es gibt Grenzen! Niemand muss sich umbringen lassen. Und um es einmal aus der Sicht des (erzkatholischen) Christentums ganz klar zu sagen: Auch Wegsehen und nichts gegen Gewalt, Unterdrückung und Unrecht unternehmen ist eine Sünde!

In bestimmten extremen Situationen ist die Anwendung von Gewalt sowohl zivil- wie auch kirchenrechtlich völlig legitim, wobei Gewalt natürlich immer nur als ultima ratio zur Disposition steht.

In diesem Zusammenhang ist auch die leider falsche Übersetzung „Es gibt keinen ersten Angriff / Bewegung“ zu sehen. Wenn es erforderlich ist, kann eine rechtzeitige angemessene Reaktion auf einen unmittelbar bevorstehenden Angriff größeren Schaden vermeiden.

Hier muss man sich dann schon die Frage gefallen lassen, ob übertriebener Pazifismus nicht möglicherweise sogar genau das Gegenteil bewirkt, ob durch zuviel Pazifismus nicht gerade erst zig-tausendfaches Morden und Töten möglich gemacht wurde.

Letztlich ist die Art und Weise wie jemand mit bestimmten Situationen umgeht doch sehr persönlicher Natur. Der eine wird aggressiv, der andere denkt darüber nach, wie er das Problem einvernehmlich lösen kann, andere laufen davon, wieder andere sitzen das Problem aus … Es gibt kein richtig oder falsch. Jeder hat seine Überzeugungen, muss aber auch in der Lage sein, die Überzeugungen anderer zu akzeptieren. Ausgehend von den eigenen Überzeugungen muss jeder seinen Weg finden ohne seinen Prinzipien untreu zu werden.

4 Kommentare zu „Praktizierende Christen und Karate“

  • Detlef Otten:

    Hallo,

    bin selbst Karatetrainer (Wado Ryu, WSSV/Okinawa Wilhelmshaven) und praktizierender Christ und auf der Suche nach Leuten/Vereinen, die sich mit dieser Kombination auseinander setzen. Soweit du die Sache darstellst, kann man dem wohl zustimmen, aber es gibt da ja auch noch andere Aspekte. Karate gerät manchmal in die Nähe von Zen, Quigong und ähnlichen Praktiken, die ihrerseits ab einer bestimmten Tiefe eine esotherische bzw. sogar okkulte Ausrichtung aufweisen. Und damit habe ich meine Probleme und würde es begrüßen, wenn sich Leute auf den Weg machen, diese Einflüsse aus unserem Karate zu entfernen und es auf eine christliche Grundlage zu stellen. In den USA gibt es hierzu wohl schon eine große „Szene“, aber in Europa ist mir so etwas noch kaum bekannt. Würde mich interessieren, ob es hier weitere Ansätze gibt.

    Grüße
    Detlef Otten

    • ralphp:

      Um ehrlich zu sein: Ich sehe im Karate keine notwendige Bindung an Zen, Qigong usw. Ebensowenig ergibt sich daher für mich die Notwendigkeit, Karate auf christliche Grundlagen zu stellen.
      Karate hat seine Wurzeln in Japan, oder genauer gesagt in Okinawa. Dass mit dem Karate auch gewisse Traditionen aus Japan mit nach Europa gekommen sind und das Training begleiten, ist aus meiner Sicht völlig normal. Man sollte jedoch diese Traditionen nicht mit Zen verwechseln oder gar dazu übergehen, die Traditionen des Karate mit esoterischen Inhalten (z.B. aus dem Zen-Buddhismus) zu füllen. Esoterische Inhalte haben im Karate nichts verloren und sind vielfach nur darauf zurückzuführen, dass sich Trainer verschiedentlich interessanter machen wollen um Karate besser verkaufen zu können. Würden nun nicht in das Karate gehörende esoterische Inhalte aus dem Zen oder Qigong durch christliche Inhalte ersetzt, so erhalten wir am Ende ebenfalls ein „falsches“ Karate.
      Es ist letztlich nichts anderes als wie beim Würzen einer Suppe. Die Tradition ist dabei das Salz der Suppe. Wird das Salz durch Zucker ersetzt, schmeckt die Suppe nicht und ihr geht etwas Wichtiges verloren – nämlich der gute Geschmack. Ersetzt man dann wiederum den Zucker durch Pfeffer erhält man zwar einen intensiveren Geschmack, jedoch schmeckt auch diese Suppe völlig anders als die ursprünglich mit der richtigen Dosis Salz gewürzte Suppe.
      Ich denke, Karate sollte frei von esoterischen Inhalten unterrichtet und trainiert werden. Es gibt nichts Mystisches am Karate. Und gerade deshalb müssen wir auch nichts ersetzen, sondern sollten uns auf die Ursprünge des Karate zurückbesinnen, wo es um den Kampf ums Überleben ging. In die Moderne überführt wurden die ernsten kriegerischen Elemente des Karate umgeformt. Das neue Ziel lautet nun den Charakter durch das Karate-Training zu kultivieren. Zu diesem Zwecke wurde eine bestimmte Etikette eingeführt, die es zu beachten gilt. Allerdings hat diese Etikette wohl kaum etwas mit esoterischen Inhalten zu tun, sondern ist nichts anderes als japanische Tradition, die mit dem Karate auch in den Westen kam.

  • Ich habe Interessantes dazu in „Okkultes ABC“ von Kurt E. Koch gefunden, wo Karate dem Okkultismus zugeordnet wird. Wobei der Autor meines Erachtens selbst oft dogmatisch erscheint. Was er schreibt, ist für mich nicht absolut gültig, wobei er in vielem recht hat. Auch das Christentum ist letztlich „okkult“, bekennt und bezeugt die Existenz einer immateriellen Welt. Ich denke, man macht als Christ nichts falsch, wenn man Karate praktiziert. Die Herangehensweise entscheidet. Die eigene innere Einstellung. Was mache ich und warum, was will ich erreichen? Darauf kommt es an. Der Weg des Karate kann auch eine Art Pilgern sein. Das entscheide ich selbst.

  • P.S.: Was ist mit Heilung durch Handauflegen (Jesus und seine Jünger)? Weniger „okkult“? Paulus sagt: Dein Körper ist Dein Tempel. Wir dürfen „okkult“ sein, so lange wir wahr bleiben, aufrichtig, bemüht, respektvoll und selbstkontrolliert.

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