Karate ni sente nashi

Dies ist eine der zwanzig von Großmeister Gichin Funakoshi aufgestellten Dojo-Regeln. Sie beinhaltet den friedliebenden Geist des Karate, denn Karate übt man nicht um zu siegen, um über seine Feinde zu triumphieren. Karate-Do heißt, häßliche Konflikte vermeiden, mit dem anderen zu leben und nicht gegen ihn zu kämpfen.

Karate ni sente nashi Kalligraphie: Es gibt keinen ersten Angriff im Karate

Nun sagst du: Es gibt keinen ersten Angriff, also warte ich einfach den Angriff ab und dann werde ich dem anderen mal zeigen, was ich alles gelernt habe. Falsch! Karate ni sente nashi geht weiter – Man muß alles tun, um Gewalt zu vermeiden, folglich lieber davonlaufen, als sich zu schlagen. Mag dich der andere ruhig einen Feigling schimpfen. Was wertvoller als alles andere ist: Du bist dir selbst treu geblieben!

Als ich gerade mit dem Studium des Karate-Do begonnen hatte, verstand ich all dies noch nicht.

Es war an einem Silvesterabend, als ich mit einigen Freunden durch die Straßen zog. Plötzlich wurde ich von einem angetrunkenen Mann mittleren Alters von hinten am Kragen gepackt und er drohte mir Prügel an.

Ich selbst, eingedenk dieses Leitspruches, lauerte nur auf den ersten Schlag von ihm, um ihm dann einige wohlgezielte Schläge zu verpassen. Zum Glück kam ein Freund dazwischen, der die Sache beendete.

Heute weiß ich, dass auch schon allein diese meine Einstellung, das Warten auf den ersten Schlag des anderen, gegen den wahren Geist des Karate-Do ist.

Der Epilog zu dieser Begebenheit ereignete sich einige Jahre später. In einem Geschäft wurde ich von zwei streitlustigen jungen Männern beschimpft und sie wollten sich aus irgendeinem unerfindlichen Grund mit mir schlagen. Ich selbst blieb jedoch nach außen hin völlig ruhig; ja ich dachte noch nicht einmal daran, den beiden mit irgendwelchen Techniken zu begegnen. Es war ihnen anzusehen, dass sie vom Kämpfen nichts verstanden, so dass es für mich ein Leichtes gewesen wäre, sie eines besseren zu belehren. – Doch was hätte ich davon gehabt?

Ein Unrecht schafft nur immer wieder neues Unrecht. Mag sein, dass es sich manchmal als unmöglich erweist, einem Konflikt aus dem Weg zu gehen – aber du solltest stets bedenken, dass ein Kampf niemals ein Problem aus der Welt schafft.

Es ist schon allerhand, was da von uns verlangt wird: Selbstbeherrschung, keine Angriffshandlungen begehen, ja letztlich lieber einen Schlag einstecken, als einen austeilen.

Doch auch all dies gibt noch nicht den vollen Sinn dieser Regel wieder. In ihrer letzten Konsequenz bedeutet „Karate ni sente nashi“ nämlich das Verbot jeglicher Angriffshandlung. Deshalb steht diese Dojo-Regel auch dem Jiyu Kumite entgegen.

Gichin Funakoshi führte nur widerstrebend die Kumite-Formen ein. Er gab hier dem Drängen seiner jüngeren Schüler nach, die ihr Können in Wettkämpfen unter Beweis stellen wollten. (Früher wurde Karate nur durch Kata geübt.)

Nach Funakoshis Ansicht stellt ein Wettkampf – gleich welcher Art die Grundprinzipien des Karate ernsthaft in Frage, die darauf gerichtet sind, den Weg (Do) zu lernen.

Bei einem Wettkampf geht es den meisten nur darum, um jeden Preis zu siegen. Sie stellen den Sieg über den Gegner obenan und übersehen, daß es wertvoller ist, zunächst sich selbst zu besiegen. Denn: „Oberstes Ziel in der Kunst des Karate ist nicht Sieg, nicht Niederlage. Oberstes Ziel ist die Vervollkommnung des eigenen Charakters.“ (Leitspruch der J.K.A.)

Man muss dem anderen nicht beweisen, dass man besser bist als er, denn wahres Können beweist sich in sich selbst. Du musst unbedingt verstehen, dass Karate miteinander leben heißt. Dies bedeutet, nicht gegeneinander zu kämpfen.

Insbesondere beim Kumite oder bei den Partnerübungen während der Erwärmung (aber auch beim Spiel) solltest du das berücksichtigen. Der andere ist dein Trainingspartner und Freund. Beide habt ihr das gleiche Ziel: Das Erlernen von Karate-Do. Karate-Do kann man aber nicht allein üben. Deshalb ist der Partner, der Trainingskamerad so notwendig. Um aber wirklich etwas lernen zu können, dürft ihr niemals gegeneinander, sondern müsst immer miteinander üben.

Du musst bei Deinen täglichen Übungen jegliches Ich-bezogene Denken („Ich will / muss gewinnen!“ oder „Ich muss dem anderen zeigen, dass ich der bessere bin.“) abstellen. Nur so kannst du Fortschritte auf dem Weg machen. Die Meditation zu Beginn und am Ende der Übungsstunde soll dir dabei eine Hilfestellung bieten.

Es ist natürlich schwer, eine solche Geisteshaltung zu erlangen, denn der Wille zu siegen ist stark. Hier kannst du beweisen, ob du in der Lage bist, dich selbst zu besiegen.

Wenn du all dies richtig verstanden und auch umgesetzt hast, wirst du bemerken, dass Sieg oder Niederlage plötzlich jegliche Bedeutung verlieren. Mit einer solchen Geisteshaltung wirst du schwerlich verlieren. „Niemals verlieren bedeutet aber nicht automatisch, immer zu gewinnen.“ (Shigeru Egami)

Natürlich ist es manchmal sehr schwer, ruhig zu bleiben und nicht zu kämpfen, es gibt auch Situationen, in denen man kämpfen muss, aber die weitaus meisten Konflikte kann man ohne Gewalt lösen, auch wenn uns dies Überwindung kostet, dies länger dauert und meist auch mehr Anstrengung erfordert.

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