Gewinn aus Verzicht
Immer wieder werden wir unserem Leben aus Neue vor Fragen gestellt, müssen wir Entscheidungen treffen. Treffen wir die falsche Entscheidung, können wir viel verlieren; treffen wir die richtige Entscheidung, können wir aber noch viel mehr gewinnen.
Safar Sensei erzählte folgende Begebenheit aus seinem Leben:
Meine Mutter starb und ich stand vor der Entscheidung, aus Amerika nach hause zum Begräbnis zu fahren oder aber als Coach der Nationalmannschaft beizustehen. Dies war eine sehr schwierige Situation für mich und so fragte ich Okazaki Sensei.
Dieser sagte auf meine Frage hin: „Diese Entscheidung musst Du selbst treffen. Diese Entscheidung kann Dir niemand abnehmen. Aber Du solltest eines bedenken: Auf der Beerdigung kannst Du nichts mehr tun…“
Ich traf meine Entscheidung und fuhr nicht zur Beerdigung sondern blieb bei der Nationalmannschaft und wir errangen sogar den ersten Platz.
Als meine Schwester zurückkam fragte sie mich, wie ich Mutter im Gedächtnis behalten hätte. – Ja ich sehe sie noch immer so vor mir, wie ich sie bei meinem letzten Besuch gesehen hatte, als ich eine Zigeunerband zu ihrem Geburtstag engagiert hatte. Sie tanzte, lachte und sang und mit Tränen der Freude in den Augen sagte sie mir „Oh Junge, Du bringst mich immer zum Weinen…“ – So behielt ich meine Mutter in Erinnerung. Meine Schwester beneidet mich um diese Erinnerung. Sie war nach hause gefahren, hatte den Sarg öffnen lassen, um Mutter ein letztes Mal zu sehen. So wie Mutter im Sarg lag – das ist ihr letztes Bild.
Es gibt auf einer Beerdigung nichts, was man für den Verstorbenen tun kann, als ihm die letzte Ehre zu erweisen. Wichtiger jedoch sind die Lebenden, für die wir noch immer etwas tun können. Wir müssen Prioritäten setzen und die richtige Entscheidung treffen. So kann man durch einen kleinen Verzicht manchmal sehr viel gewinnen. Ich habe auch aus dieser Begebenheit sehr viel gewonnen, denn ich habe Mutter so in Erinnerung wie sie immer war: Lustig und fröhlich. Das ist mein Bild, dass ich mir bewahrt habe.
Auf meinen Einwurf, dass wir doch gerade unseren Eltern gegenüber zum Dank verpflichtet seien und ihnen doch daher auch die letzte Ehre erweisen sollten erwiderte Safar Sensei:
„Ja, das ist richtig. Aber was kannst Du noch für Sie tun? Sie sind verstorben – alles ist vorbei. Wir dürfen nicht in der Vergangenheit leben sondern, müssen in die Zukunft blicken. Wir dürfen nicht dem hinterhertraueren was war, sondern müssen auf das blicken was vor uns liegt. So können wir unsere Kräfte sinnvoll einsetzen. Auch im Training interessieren nicht die, die nicht gekommen sind, sondern nur die die da sind – die sind für mich wichtig.“
Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Ich habe meine Mutter einmal gefragt, was sie sich wünschen würde, wenn sie einen Wunsch hätte. – Sie antwortete darauf nur, dass sich sich wünsche, dass ihre Kinder nicht vor ihr sterben würden…“